Herthas Traum im Schlafwagen

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Wer ein richtiger Hauptstädter ist, der haut auch kräftig auf die Pauke. Das ist natürlich in Berlin nicht anders. Meistens nicht. Eine Ausnahme machten in diesem Jahr lange Zeit die Verantwortlichen bei Hertha BSC. Sie gaben sich äußerst zurückhaltend. Kein Wunder. In der Vorsaison hatten die Spieler sich das Erreichen der Champions League zum Ziel gesetzt und waren am Ende dem Abstieg nur um Haaresbreite entkommen. In dieser Saison lautete das offizielle Saisonziel: einstelliger Tabellenplatz. Man gab sich bescheiden in der Hauptstadt.

Doch am Ende wurden sie dann doch noch hauptstädtisch lautsprecherisch bei Hertha. Nach dem 30. Spieltag, an dem die Berliner den FC Schalke 04 mit 4:1 besiegt hatten, fühlte man sich schon als Champions-League-Teilnehmer, obwohl Hertha BSC auch nach diesem Spiel in der Tabelle nicht über Platz vier hinauskam. Prompt folgte am nächsten Spieltag eine Niederlage in Rostock, gegen den Absteiger FC Hansa. Das hat vor allem die gefreut, die sich schon zu fürchten begannen – vor den großen Sprüchen aus Berlin, sollte sich Hertha wirklich für die Champions League qualifizieren.

Den Sprung unter die Besten der Besten haben sie ja im Jahre 1999 bereits einmal geschafft. Und die Berliner hatten eine ganz eigene Art, sich über diesen Erfolg zu freuen. Er verstand sich von selbst. Berlin ist deutsche Hauptstadt, Hertha ein aus dem Schlaf erweckter Riese, da ist es doch nur natürlich, dass man in der Champions League spielt. Allen Ernstes ersuchten die Herthaner, bald schon in die G 14 aufgenommen zu werden, jene Dachorganisation der europäischen Spitzenclubs. Hertha sah sich auf Augenhöhe mit Real Madrid und Manchester United. Doch die Berliner konnten nie so recht mithalten mit den selbst formulierten Ansprüchen. Zwar qualifizierte sich Hertha BSC Berlin immer wieder für den Uefa-Cup, kam in diesem Wettbewerb aber nie besonders weit. Mit der Erstrundenniederlage gegen den polnischen Spitzenverein Groclin Dyskobolia Grodzisk in der vorigen Saison blamierten sich die Berliner wie selten eine deutsche Mannschaft in einem europäischen Wettbewerb.

Anderthalb Jahre später ist die Mannschaft zwar besser, aber Hertha immer noch nicht bescheiden genug, anzuerkennen, dass die Champions League eine Nummer zu groß ist für die Charlottenburger. Es täte der Mannschaft gut, wenn sie erst einmal versuchen würde, eine Runde im Uefa-Cup zu überstehen. Das wird schwer genug. Eine Elf ohne schlagkräftigen Sturm wird sich in Europa schwer tun.

Wie die sicher nicht schlechten Verteidiger Dick van Burik, Joe Simunic und Arne Friedrich in der eigenen Hälfte in aller Ruhe den Ball hin- und herschieben, so lange bis sich entweder Marcelinho oder Yildiray Bastürk, die Kreativkräfte, frei gelaufen haben, ist bundesligatauglich. Aber im europäischen Vergleich ist dieser Schlafwagenfußball sicher nicht konkurrenzfähig – auch nicht, wenn er aus der deutschen Hauptstadt kommt.

Andreas Rüttenauer ist Hertha-Berichterstatter der taz